Freie Radios auf der re:publica21
21.06.2021

Mit „FREI, ANONYM, KOSTENLOS – Was wird aus den FREIEN FREQUENZEN?“ beteiligte sich die freie Radioszene am 21. Mai 2021 erstmals an der größten Konferenz zu den Themen Internet und digitale Gesellschaft in Europa, der re:publica21.

Realisiert wurden, als re:publica Off-Stage Event, drei kompetent besetzte Talkrunden deren Ziel das anstoßen eines gesellschaftlichen Diskurs zur Digitalisierung und der Zukunft des nichtkommerziellen Hörfunks war. Diskutiert wurden in dieser Trilogie politische, finanzielle und technologische Perspektiven der freien Radiolandschaft in Deutschland.

Den Auftakt machte die Sendung „FREI, ANONYM, KOSTENLOS – Was wird aus den FREIEN FREQUENZEN?“.

In einer Runde aus Politik-, Regulierung- und Radiovertreter:innen wurde einmal mehr die brennende noch immer nicht gänzlich beantwortete Frage aufgeworfen wie lange die UKW-Frequenzen in Deutschland wirklich noch in Betrieb sind und inwieweit freie Radios in der DAB-Zukunft ihren Platz finden sollen und können. Hierbei wurde erneut klar, dass es dringlich gilt, heute schon eine Antwort auf diese Fragen von Morgen zu finden. Zwar sei mit „einer Abschaltung von UKW in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht zu rechnen“ wie der Direktor der Medienanstalt Mecklenburg-Vorpommern Bert Lingnau anmerkte, doch räumte in diesem Zusammenhang auch ein: „DAB+ wird die Abdeckung von UKW nicht erreichen.“

Als einen wichtigen und wohl grundlegenden Aspekt räumte Alexander Salomon (MdL Ba-Wü) von den Grünen ein: „Die freien Radios bilden einen Bereich ab, der durch „andere Radios“ nicht abgedeckt wird“. Der aktuelle Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg lässt, was den Umzug der freien Radios auf DAB+ angeht viel Interpretationsspielraum. „Wir wünschen uns die gleiche Behandlung wie die privat-kommerziellen Radiosender. Für uns freie Radios fehlt die Sicherheit, wie es nach der UKW-Abschaltung weitergeht“, fügt Andreas Reimann von Radio Dreyeckland aus Freiburg an. Der Ball wurde hier an die Politik zurück gespielt.

Gesprächspartner:innen

Alexander Salomon (MdL Ba-Wü, Grüne) | Bert Lingnau (Direktor Medienanstalt Mecklenburg-Vorpommern) | Friederike Maier (Community Media Forum Europe) | Andreas Reimann (Radio Dreyeckland, Freiburg) | Phillipp Markwardt (Radio LOHRO, Rostock) | Jörg Braune (Radio T, Chemnitz)

Moderation: Mark Westhusen (Radio Corax, Halle)

 

Im zweiten Panel „Freie Radios – ist das Kunst oder kann das weg?“ wurde in einer Runde von Radiomacher:innen zunächst noch einmal ausführlich dargestellt, wie wertvoll es ist, einen niederschwelligen Zugang zum Medium Radio anbieten zu können.

Denn freie Radios stehen für Medien und Meinungsvielfalt, Themen abseits des Mainstreams und aktive Vermittlung von Demokratiekompetenz. Als einen wichtigen Aspekt unterstrich in dieser Runde auch Ronald Senft vom Bildungszentrum BürgerMedien: „Freie Radios sind wichtige soziale Lernorte, die inzwischen auf eine 40jährige Tradition zurückblicken können. Hier werden Kompetenzen länderübergreifend ausgetauscht und eingesetzt.“ Den perfekten Tipp um die freien Radios kennenzulernen liefert Ronald Senft vom Bildungszentrum BürgerMedien gleich mit: „Besuchen Sie vor Ort ihr freies Radio oder ihren Offenen Kanal. Schauen sie mal rein. Das sind nette Leute, die erklären ihnen auch wie Radio und Fernsehen gemacht wird.

Gesprächspartner:innen

Kristin Schröder | (Radio LOHRO, Rostock) | Katja Röckel (Radio blau, Leipzig) | Chiara Boy (Radio Fratz, Flensburg) | Ronald Senft (Bildungszentrum BürgerMedien) | Rufine Songue (Radio Dreyeckland, Freiburg) | Fabian Ekstedt (Radio Lora, München)

Moderation: Renate Börger (Radio Lora, Attac, ehm. Bayerischer Rundfunk)

 

Unter der Überschrift „European Public Spaces – wir entwickeln den digitalen Plan B“ diskutierte schließlich eine Runde in englischer Sprache über die Möglichkeiten einer nichtkommerziellen Verbreitung der Inhalte freier Radios.

Mit neuen Technologien und Tools arbeiten aktuell mehrere Radios auch international am Ausbau der Online-Archive. Für die Verbreitung von Video und Audio geht mittlerweile kaum mehr etwas ohne die proprietären Plattformen wie YouTube und Spotify. Es fehlen europäische und zivilgesellschaftliche Gegenentwürfe. Internationale Vernetzungsprojekte wie „European Public Backbone 2.0“ und digitale Konzepte wie „Archipel“ sollen redaktionellen zivilgesellschaftlichen Produktionen zu mehr Durchsetzungsdruck verhelfen.

Wie wichtig hier aber gerade auch internationale Unterstützung und Zusammenarbeit ist unterstrich Ákos Cserháti von Radio Civil (Budapest) in dieser Runde. „Wir sind sehr dankbar für die Unterstützung, gerade auch vom Projekt „danube streamwaves digital. Dieser Input hält unseren Enthusiasmus am Leben und gibt uns die Stütze an die Zukunft zu glauben. In Ungarn ist es aktuell fast unmöglich der Politik die Bedeutung eines Freien Radios zu erklären.“ Wie es sich anfühlt und wie schwer es ist sich im großen Raum des Internets Gehör zu verschaffen haben er und seine Radiokollegen nämlich zu Beginn 2021 erfahren als die ungarische Regierung ihnen ihre Frequenz abstellte. Die Hörerschaft fragmentiert über die verschiedenen Social Media Kanäle, je nach Schwerpunkt einer Show. Gemeinsame Identität und Diskurs gehen verloren. Daher müssen Community-Radios für die Verbreitung in der digitalen Welt stärker gefördert werden.

„Live on Air zu sein ist nicht nur ein Privileg, sondern eine Möglichkeit, die Gemeinschaft zusammenzuführen.“ – Ákos Cserháti, Civil Radio Budapest

Gesprächspartner:innen

Alexander Baratsits (cultural broadcasting archive, Linz) | Ákos Cserháti (Civil Radio, Budapest) |
Sabine Fratzke (Radio free FM, Ulm)

Moderation: Michael Nicolai (Amarc Europe)

 

Präsentiert wurden diese drei Sendungen vom Projekt „danube streamwaves digital“, mit finanzieller Unterstützung des Staatsministerium Baden-Württemberg.

Die Sendungen wurden auf https://kurzelinks.de/freieradios-republica21, auf dem Radio free FM Facebook– und YouTube-Channel wie auch live bei Radio Słubfurt (Frankfurt Oder / Słubice), Radio free FM (Ulm), Radio Corax (Halle), Radio blau (Leipzig) und auf Freies Radio Freudenstadt übertragen und sind auch im Nachklapp noch abrufbar.

 

Über freie Radios:

Freie Radios sind mit den sozialen Bewegungen der 1980er Jahre entstanden. Ihr Ziel ist, Unbekanntes und Vernachlässigtes in Wort und Musik zu unterstützen.

Auch heute noch werden freie Radios gegründet, wie aktuell das Seniorenradio Ginseng in Grünheide oder das freie Radio Fratz in Flensburg. Die Themen sind so vielfältig wie die Menschen, die sich in und für freie Radios engagieren. Freie Radios eint die nichtkommerzielle, basis-demokratische Gesellschaftsform. Freie Radios ermöglichen besonders Personen und Gruppen Zugang zur Medienproduktion, die sonst keinen oder nur begrenzten Zugang haben.

Freie Radios beschäftigen sich intensiv mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen. Die RedakteurInnen und OrganisatorInnen von freien Radios betrachten sich als eine Familie und sind untereinander vernetzt. In nationaler und internationaler Zusammenarbeit und mit regelmäßigen

Kongressen beteiligen sie sich aktiv an der Weiterentwicklung medienpolitischer Diskurse.

Phänomene wie Fake News, Hate Speech und Verschwörungserzählungen zeigen die Wichtigkeit von zivilgesellschaftlich organisierten Diskurs-Orten. Freie Radios tragen ein erhebliches Potential zum Community Building in sich. Das Besondere findet nicht nur on Air, sondern auch off Air statt.

Sie sind Austragungs- und Umschlagplätze demokratischer Selbstverständigungsprozesse. Der Verlust der Frequenzen wäre die Demontage der Strukturen.